Über die Entwicklung und Veränderung des Rechtsmarkts wurde und wird mannigfaltig publiziert. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt dabei häufig auf der wachsenden Bedeutung von - nicht immer - neuen Technologien im Rechtsmarkt („Legal Tech“).
Im Schatten des Legal Tech-Hype hat sich in den letzten Jahren, vorrangig in den USA, eine Disziplin konstituiert und etabliert, die hierzulande bis dato wenig Beachtung findet: Legal Operations.
Legal Operations umfasst alle Handlungsfelder, die für eine effektive und effiziente Erbringung von Rechtsdienst-leistungen relevant sind, sozusagen everything except the law.
Auslöser war die Erkenntnis, dass an Rechtsabteilungen die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an andere Unternehmensabteilungen: auch Rechtsabteilungen müssen eine interne Dienstleistung mit einem festen Budget und maximaler Effizienz erbringen. Gleichzeitig rückt die Rechtsabteilung aufgrund zunehmender Komplexität und steigender Risiken näher an die oberste Leitungsebene der Organisationen; dies wiederum verändert die Sichtweise auf die Rechtsabteilung und die Art und Weise der Leistungserbringung: „...they are no longer little islands free from economic reality“ (CLOC Founder, Connie Brenton, on AI and Legal Sector Change).
Legal Operations ist als Disziplin im US-amerikanischen Rechtsmarkt bereits fest etabliert. Dies zeigt sich in den Ergebnissen zahlreicher Marktstudien und an der stetig wachsenden Anzahl an Teilnehmern am CLOC Global Institute. Als Legal Operations-Experte verfolge ich diese Entwicklung quasi live vor Ort; auch meine 6. Teilnahme im Jahr 2024 war geprägt von vielfältigen Eindrücken, Entwicklungen und Ausblicken, wo die Reise im Rechtsmarkt hingehen wird.
Es ist eine zunehmend differenzierte Betrachtung der Rechtsfunktion, nämlich die (gedankliche) Trennung der eigentlichen juristischen Tätigkeit (legal profession) von der Art und Weise der Leistungserbringung (business of law) zu erkennen. Nicht ohne Grund finden im Rechtsmarkt vermehrt betriebswirtschaftliche Methoden Anwendung, die in anderen Branchen und Unternehmensabteilungen z.T. seit Jahrzehnten etabliert sind: Projektmanagement, Supplier Relationship Management, Client Relationship Management, Geschäftsprozessoptimierung und -standardisierung, Dokumentenmanagement, Continuous Improvement, agile Methoden, um nur einige zu nennen.
Auch wenn aktuelle Beiträge rund um Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Transformation die Agenden zahlreicher Veranstaltungen füllen - der Rechtsmarkt dürfte insgesamt eher in den Anfängen einer Industrialisierung zu verorten sein. Bei aller Euphorie um neue Technologien, in der Praxis scheint vieles nicht angekommen. So berichten Vertreter von Rechtsabteilungen und Kanzleien gleichermaßen, dass unverändert ein nicht unerheblicher Teil der originären anwaltlichen Tätigkeit geprägt ist von Vorgehensweisen, die sich nicht wesentlich von denen früherer Anwalts-Generationen unterscheiden: „Jeder Fall ist eben anders.“
Tatsächlich ist zu unterscheiden: Manche Sachverhalte erfordern die Bearbeitung in der „Manufaktur“, andere wiederum ermöglichen abweichende Produktionsverfahren. Eine effiziente Leistungserbringung erfordert jedenfalls mehr als Technologie und juristische Kompetenz.
Der Leitsatz von Alfred D. Chandler „Structure follows Strategy“, der mit der wachsenden Bedeutung von Geschäftsprozessen erweitert wurde zu „Structure follows Process follows Strategy“, verdeutlicht diese Sichtweise: WAS ist die Strategie der Organisation (und daraus abgeleitet der Rechtsfunktion), WIE soll diese umgesetzt werden und WER und WAS wird dafür benötigt. Im Zentrum dieser Betrachtungsweise stehen die Geschäftsprozesse des Unternehmens und der einzelnen Abteilungen; diese gilt es zu identifizieren und zu optimieren. Welche Prozesse zählen zur Kernleistung (Rechtsberatung), welche sind Unterstützungsprozesse? Bei welchen Prozessen findet eine Interaktion mit internen und/oder externen Kunden statt (kundennahe Prozesse), welche dienen ausschließlich innerbetrieblichen Zwecken (kundenferne Prozesse)? Welche Prozesse können standardisiert und ggfs. automatisiert werden? Bei welchen Prozessen kann Technologie zur Verbesserung eingesetzt werden, welche erfordern Handarbeit?
Der sorgfältigen Analyse der Geschäftsprozesse folgen Überlegungen zu Aufbau, Struktur und Ausgestaltung der Organisation (Rechtsabteilung/Kanzlei): Welche Leistungen sollen innerhalb der Organisation erbracht werden? Welche Kompetenzen sind dafür in welchem Umfang erforderlich? Was ist die ideale Organisationsform? Welche Leistungen können unter welchen Rahmenbedingungen extern bezogen werden?
Um diese und weitere Fragen beantworten zu können, müssen Kompetenzen aus verschiedenen Disziplinen an einem Tisch vereint werden. Neben Jura sind dies insbesondere BWL, IT und Human Resources. Die relevanten Handlungsfelder sind in den vorhandenen Legal Operations-Modellen abgebildet. Sie bilden insofern das Spielfeld für diese interdisziplinären Teams - die Spielregeln und das Ziel gilt es dabei jeweils gemeinsam zu definieren.
Das Rad neu zu erfinden ist nicht erforderlich. Ideen, Anregungen und Erfahrungen gibt es reichlich. Gleich zwei Organisationen treiben die Entwicklung von Legal Operations mit zum Teil bemerkenswerter Geschwindigkeit voran: die ACC (Association of Corporate Counsel) und die CLOC (Corporate Legal Operations Consortium). Beide Organisationen bieten ein eigenes Vorgehensmodell für die Bearbeitung der vielfältigen Handlungsfelder. Gemeinsam ist beiden, dass sie, wenngleich noch mit einem starken Fokus auf Rechtsabteilungen, getragen sind von der Idee des Austauschs und einer gemeinsamen Bearbeitung anstehender Herausforderungen.
Corporate Legal Operations Consortium
Die CLOC wurde 2010 von einer kleinen Gruppe Legal Operations Experten US-amerikanischer Unternehmen, u.a. von Archer Daniels Midland, Oracle, Yahoo!, Adobe Systems und Google gegründet mit dem Ziel, die Transformation des Rechtsmarkts hin zu einem unternehmerisch geprägten „Business“ aktiv zu gestalten. Auslöser der Gründung waren laut Connie Brenton, Gründerin der CLOC, zwei zentrale Fragen: „What does it mean to run a corporate legal department like a business, and how do you do that?
Seit Ihrer Gründung hat die CLOC eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen, die wohl am deutlichsten an den Teilnehmerzahlen der seit 2016 durchgeführten Konferenz „Legal Executive Institute“ abgelesen werden kann:
Bei der ersten Veranstaltung in 2016 trafen sich ca. 450 Teilnehmer, in 2017 waren es bereits ca. 1.000 und im April 2018 durchbrach die Teilnehmerzahl die Schwelle von 2.000 Legal Operations Experten. Aktuell hat die CLOC über 2.000 Mitglieder aus über 1.000 Unternehmen in 40 Ländern. Seit Januar 2016 ist die CLOC als Non-Profit Organisation organisiert.
Das Vorgehensmodell der CLOC bietet den Mitgliedern einen Rahmen für die Entwicklung und Umsetzung eines effizienten Legal Operations Managements. Das Modell, betitelt als 12 core competencies, umfasst die gesamte Bandbreite der unternehmerisch geprägten Aspekte bei der Erbringung von Rechtsberatungsleistungen.
ACC
Die ACC (Association of Corporate Counsel) wurde 1982 als American Corporate Counsel Association gegründet und ist als ACC seit 2003 die globale Vereinigung von Inhouse Anwälten mit über 40.000 Mitgliedern in über 10.000
Organisationen in 85 Ländern.
ACC Legal Operations wurde im März 2015 gegründet und bietet mit dem ACC Legal Operations Maturity Model einen Rahmen für die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsfunktion in Unternehmen. Das Modell umfasst 14 Handlungsfelder, die durch das ACC Legal Operations Toolkit und begleitende Webinare ergänzt werden.
Ausblick
Die Bedeutung der Legal Operations-Funktion in Deutschland wird zunehmen, der Zwang zu Handeln ist da. Abnehmer und Anbieter von Rechtsdienstleistungen sind gefordert, die Art und Weise der Leistungserbringung zu überprüfen und Chancen zu nutzen, um Effizienz und Effektivität zu steigern.
Im Kern ist und bleibt die juristische Arbeit geprägt von der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu analysieren und unter Berücksichtigung von Regeln und Normen Lösungen zu entwickeln. Neu ist die Einbettung dieser Fähigkeit in einen eigenen unternehmerischen Kontext. Die Handlungsfelder sind ebenso vielfältig wie die Rechtsfragen, die es zu beantworten gilt. Es geht mehr als nur um Jura. Rechtsabteilungen, Kanzleien und andere Rechtsdienstleiter sind aufgefordert, durch enge Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams und auf Augenhöhe mit z.B. Betriebswirten, Informatikern und Personalentwicklern neue Ansätze für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen zu entwickeln. Ein Blick über den Tellerrand scheint vielversprechend, denn so manche Herausforderung ist nicht grundsätzlich neu und wurde in anderen Branchen, Abteilungen und Teams erfolgreich
gemeistert.
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